Nie wieder Diktaturen!
Wir suchen Zeitzeugen des Kommunismus
Worum es geht
Nur wenige Jahrzehnte ist es her, als kommunistische Regime die Bürger Europas heimgesucht, unterdrückt, ihrer Freiheit beraubt und ermordet haben.
Viele Flüchtlinge haben ihre Geschichten, Erfahrungen, ihre Traumata und Lehren nach Wien mitgebracht und diese sind Teil des kollektiven Geschichtsbewusstseins unserer Stadt geworden. Doch der Lauf der Zeit bringt es mit sich, dass die Erinnerungen langsam verblassen. Diesem Vergessen wollen wir entgegentreten.
Der Rathausklub der Wiener Volkspartei und die Politische Akademie suchen Zeitzeugen des Kommunismus: Wienerinnen und Wiener, welche die Schrecken der kommunistischen Diktatur am eigenen Leibe erlebt haben – und davon erzählen möchten.
Denn es geht nicht nur um Erinnerungen – es geht auch um Lehren fürs Heute: Nie wieder Diktaturen!
Machen Sie mit
Die Zeitzeugenberichte sind auf zwei Arten möglich: schriftlich und/oder als Video. Die schriftlichen Berichte werden Teil einer wissenschaftlich begleiteten Publikation, die Videos werden auf Youtube und Sozialen Medien geteilt. Damit möglichst viele Menschen die Botschaft hören: Nie wieder Diktaturen!
So gehts‘:
Schreiben Sie per Mail an zeitzeugen@wien.oevp.at
oder per Post an:
Rathausklub der Wiener Volkspartei
zH Mag. Caroline Hungerländer
Rathaus, 1082 Wien
Über Uns
Mag. Caroline Hungerländer ist Abgeordnete zum Wiener Gemeinderat und Landtag und stv. Parteiobfrau der Wiener Volkspartei
Mag. Jan Ledóchowski ist Sprecher für Christdemokratie der Wiener Volkspartei und Präsident der Plattform Christdemokratie. Seine Familie stammt väterlicherseits aus Polen und musste wegen kommunistischer Verfolgung nach Wien fliehen.
Zeitzeugenberichte
Wir veröffentlichen die zugesandten Zeitzeugenberichte nach einer formellen Prüfung ohne redaktionelle Änderungen. Die Zeitzeugenberichte sollen ganz für sich sprechen und Menschen ermöglichen, ihre Erfahrungen ungefiltert zu teilen.
Ich kam auf die Welt in Prag im Jahr 1965, daher habe ich die schlimmste Zeit des kommunistischen Terrors – den Stalinismus (1948 -1953) nicht erlebt. Meine Eltern und vor allem die Großeltern allerdings schon. Ein Teil der Familie ist im Jahr 1949 nach Australien emigriert, nachdem ihr Landgut samt Brauerei verstaatlicht wurde.
Die Zeit, in der ich aufgewachsen bin, bezeichnet man als die Zeit der Normalisierung, die nach dem jähen Ende des Prager Frühlings im August 1968 von den Kommunisten eingeleitet wurde. Die (Meinungs-) Freiheit wurde massiv zurückgefahren und die kommunistische Propaganda verstärkt. Es gab nur die eine offizielle Meinung, die von der kommunistischen Führung festgelegt wurde. Die Medien und die Zweigstellen der kommunistischen Partei sowie diverse Regimegünstlinge und opportunistischen Mitbürger taten ihr Bestes und so wurde diese kollektivistische Einheitsmeinung bis in den hintersten Winkel transportiert. Das ursprüngliche Ziel der Kommunisten war ja, einen neuen, besseren Menschen zu erziehen, damit man den Sprung vom Realsozialismus zum Kommunismus, der übrigens nie irgendwo erreicht wurde, vollzieht. In den achtziger Jahren konzentrierte sich aber die damalige kommunistische Elite lediglich darauf, ihre Macht weiter aufrechtzuerhalten.
Das Grundprinzip, um in dieser Zeit nicht in Schwierigkeiten zu geraten war klar: sag nicht in der Schule, was man zu Hause so redet. Es könnte zu den Ohren irgendeines Petzers – den man heutzutage als Hinweisgeber bezeichnet – geraten und das könnte einem große Schwierigkeiten bereiten. Von solchen „Hinweisgebern“ war man sich nirgendwo sicher. Sie waren in den Schulen und Unis, in Büros und Fabriken, in den Kneipen und sogar im Freundeskreis.
Als Kind und Jugendliche habe ich diese Propaganda und die Übermacht des Staates zwar wahrgenommen, aber es hat mich, bis auf die eingeprägte Selbstzensur, nicht wirklich gestört. Ich kann sogar behaupten, dass meine Jugend relativ unbeschwert war. Die Kriminalität war sehr niedrig und es gab kaum soziale Härtefälle, da jeder arbeiten konnte (und musste) und die Lebenserhaltungskosten, wie Miete und Energie, sehr niedrig waren. Auch aus diesem Grund gab es nirgendwo Bettler und Obdachlose zu sehen. Immigration war kein Thema – eher die Emigration. Von Drogen, außer Alkohol und Zigaretten, haben wir auch kaum etwas mitbekommen. Nach der Matura kam jedoch der Realitätsschock. Nicht nur, dass ich keine Chance hatte das zu studieren, was ich wollte, sondern es wurde mir zunehmend bewusst, dass ich in der ČSSR langfristig kaum eine Perspektive habe. Die wirtschaftliche Situation war trist, die Leute zermürbt und unzufrieden. Die ständige Propaganda und Unterdrückung machten mich wütend. Dank meiner emigrierten Verwandtschaft hatte ich aber das Privileg, nach Australien, USA und Westeuropa reisen zu dürfen. Also hatte ich die Chance zu sehen, dass dort auch nicht alles so toll und unbeschwert ist, wie man sich es hinter der eisernen Mauer vorstellt, dass es auf beiden Seiten Gutes und Schlechtes gibt und dass auch die Menschen im globalen Westen von deren Propaganda beeinflusst waren bzw. noch sind. Nun lebe ich seit mehr als 30 Jahren in Österreich und beobachte mit Sorge, wie die Länder, die für uns einst das Symbol der Freiheit waren, zunehmend von kollektivistischen Neigungen, Propaganda und diversen abstrusen Ideologien heimgesucht werden, die teilweise nicht einmal den Kommunisten einfallen würden. Werden wir, „Alt-Ostler“, eines Tages den „Westlern“ die Prinzipien der Demokratie und der Meinungsfreiheit in Erinnerung rufen müssen?
Nie wieder Kommunismus!
Die Gesellschaften, die dem Kommunismus und später dem Repressionsapparat unterworfen waren, sind Gesellschaften, die dauerhaft verstümmelt wurden, weil sie im Namen einer utopischen Ideologie in zwei Gruppen geteilt wurden, von denen die eine mit dem Apparat einer fast unbegrenzten Parteimacht und den Instrumenten der Unterdrückung verbunden ist, und der andere Teil der Gesellschaft, ein viel größerer, der der Freiheit beraubt wird, Entscheidungen zu treffen, seine Bedürfnisse zu verwirklichen, richtig zu denken und zu sprechen. Das Ziel dieser Aktionen ist es, im Namen falscher Ideologien die vollständige Kontrolle über Menschen oder sogar ganze Nationen zu erlangen.
In Polen, wo ich aufgewachsen und wo ich ausgebildet wurde, konnte sich der Kommunismus dank der starken Rolle der Kirche und des nationalen Freiheitsbewusstseins und der Liebe zur Tradition nicht vollständig durchsetzen, so dass er durch einen restriktiven Sozialismus ersetzt wurde, der kaum mit dem Sozialismus in anderen westlichen Ländern zu vergleichen ist.
Wie viel Übel und Schaden den Menschen zugefügt wurde, ist aufgrund des Ausmaßes schwer zu beschreiben, aber ich werde zwei Beispiele aus meinem Leben während meines Studiums anführen, um zu zeigen, wie unverhältnismäßig der Repressionsapparat auf die Bürger wirkte.
Es war mein großer Traum, an der Nicolaus-Copernicus-Universität in Toruń Physik zu studieren. Sowohl das Studienfach als auch die Stadt waren etwas Besonderes für mich, und sind es immer noch. Ich weiß noch, wie ich nach den Prüfungen meinen Namen auf der Liste derjenigen sah, die an der Fakultät für Physik zugelassen wurden. Es ist erwähnenswert, dass von den Hunderten von Kandidaten nur etwa 60 die Prüfungen bestanden haben.
Die Freude unter den zukünftigen Studenten war groß, und wie es bei uns Tradition ist, mussten wir feiern. Am Abend hörten wir Musik und sangen Lieder, von denen einige patriotisch waren. Diese Lieder richteten sich nicht gegen die Regierung oder PZPR-Partei. Leider empfanden die Behörden jede Äußerung von Patriotismus als eine große Bedrohung, was zur Befriedung des Studentenhauses führte. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Universitäten über eine eigene Autonomie verfügen, die es der Polizei und anderen Präventionsdiensten nicht erlaubt, das Haus zu betreten. Trotzdem tauchte plötzlich eine Gruppe von etwa 50-60 Milizionären (derzeitige Polizisten) auf, die alle Teilnehmer der Versammlung festhielten und mit auf die Polizeiwache nahmen. Zu diesen Personen gehörte auch ich. Wir wurden in Untersuchungshaft genommen. Ein solcher Aufenthalt, vor allem die Übernachtung in einer schäbigen Zelle, war für einen jungen Menschen ein großer Schock und auch die Erfahrung einer schrecklichen Vergewaltigung im großen Stil. Die Folge war, dass ich nicht mehr in der Stadt bleiben wollte und mein Studium abbrach. Ich wechselte an eine andere Universität und schloss mein Studium ab, aber mein Leben kehrte nie wieder auf den Weg zurück, den ich einst eingeschlagen hatte.
Eine andere Begebenheit betrifft einen Studienfreund von mir.
Nun, einmal, nach den Vorlesungen am Institut für Physik in Kattowitz, ging ich auf den Korridor hinaus, an dessen Ende ein Freund von mir auf der Fensterbank saß und Mundharmonika spielte. Ich sprach ihn an, um ihn zu fragen, was das für ein Lied sei und warum er so ein trauriges ausgewählt habe. Mit zittriger Stimme antwortete er mir, dass er gestern seinen Bruder mit gebrochenen Unterarmen ins Krankenhaus gebracht hatte. Die gebrochenen Arme stammten von den Schlägen mit den Schlagstöcken der Miliz. Dies war bei der Befriedung des Arbeitsplatzes, an dem er arbeitete, geschehen. Ich fragte ihm, ob er einen Zusammenstoß mit der Miliz gehabt hatte, denn er war ein sehr ruhiger Junge.
Mein Freund antwortete mir, dass sein Bruder das hatte, als er sah, wie die Milizionäre eine schwangere Frau an den Haaren über den Beton der Produktionshalle zogen und er sie nur aufheben wollte. Die Milizsoldaten ließen daraufhin die Frau los, begannen aber, ihn mit ihren Stöcken auf die Hände und Unterarme zu schlagen und sie an vielen Stellen zu brechen. Er hat die Frau trotz der Schmerzen nicht losgelassen.
Ich denke, dass diese beiden Fälle die üblichen Reaktionen der Bürger zeigen, die ich für natürlich halte, die aber in einem System der Unterdrückung von den Behörden als feindlich betrachtet wurden. Deshalb ist es so wichtig, Demokratie und Freiheit aufrechtzuerhalten, damit die Ideologie, insbesondere die kommunistische Ideologie oder ihre Variante, niemals in unser Leben zurückkehrt.
Andrzej Kempa,
Präsident der Föderation der Polen in Österreich
Ein kleines Zeugnis meiner Heiligen Firmung im April 1985
Im Jahr 1985 war im Ost-Berlin, das vier Jahre später die Grenzen öffnen sollte, noch kein Anzeichen einer Wende in Sicht. In meinen vier Jahren DDR hatte ich selten so einsame, düstere, vom II. Welt-Krieg gemarterte Straßenzüge gesehen und noch nie in solch emotionslose, völlig leere Gesichter geblickt. Ich war – als Tochter des damaligen Österreichischen Botschafters – wohl eine Art Zaungast, mehr wollte uns der kommunistische Machtapparat nicht zugestehen. Dennoch wollten meine Eltern unsere Teilhabe am sozialen Geschehen im Osten fördern. So fragten sie in der nächstgelegenen Schule an, ob wir eingeschult werden durften und wurden mit den Worten „Wir wollen keine kapitalistischen Kinder“ abgelehnt. Wir wurden 24h abgehört, beobachtet, nur Stasi, IMs durften bei uns arbeiten. Einsamkeit, Misstrauen, Entmenschlichung an allen Ecken. Als mein Bruder und ich, beide minderjährig, vor der Residenz, dem Haus, in dem wir wohnten, am Boden sitzend warteten, da uns keiner öffnete, wurden wir verhaftet. Wir hätten ja DDR Kinder sein können, die sich in den Westen absetzen wollten. Die DDR war härter, als die meisten anderen Staaten des Warschauer Paktes. Nordkorea kommt der Stimmung nahe.
Als meine Firmung anstand, hätten meine Eltern die Wahl treffen können, und diese einfach mit Familie und Freunden in Österreich feiern können. Sie entschieden sich dagegen, damals nahm ich es ihnen übel. In dieser Trostlosigkeit feiern? Eine Zumutung. Heute bin ich dankbar. Könnte ich doch nicht berichten, wie ein kommunistisches Unrechtsregime handelt. Und in Wahrheit ist es egal, ob dieses Regime politisch extrem links oder extrem rechts zu verorten ist. Totalitarismus ist immer nur mit Freiheitsentzug möglich.
Der damalige Bischof der röm. katholischen – verbotenen – Untergrundkirche war der Kardinal und spätere Erzbischof von Köln, Joachim Meisner. Freundschaftlich mit der Familie verbunden, entschieden sich meine Eltern, mich in Berlin-Ost firmen zu lassen. Wöchentlicher Firmunterricht: mit Stasibegleitung. Ich verließ das Haus, ein oder zwei Männer in Lederjacken folgen mir bis zur kleinen Kirche, nahe Bornholmerstrasse. Die Straßen, wie immer sonst auch, menschenleer. In einem Land und System des Misstrauens bleiben Menschen lieber zu Hause, jede Bewegung könnte missdeutet werden. Quasi eine Lockdownstimmung. Vor der Pfarre bauten sie sich vor der Türe auf und blieben, bis wir Firmkandidaten fertig mit dem Unterricht waren. Wir durften kein Licht aufdrehen, höchstens eine Kerze durfte brennen. Verbot laut zu sprechen, Verbot der Musik und des Gesangs. So flüsterten wir einander an, ein Jahr lang, jede Woche.
Ich durfte mir keinen Firmpaten aussuchen. Er wurde mir persönlich von Erich Honecker beigestellt. Die Firmung in der Hedwigskathedrale im April 1985 fand ebenso in der absolut stillen und dunklen Kirche statt. Nichts deutete darauf hin, dass hier eine kirchliche Feier stattfindet. Wie Gespenster standen wir da. Im Altarraum ein Kardinal, auf jeder Seite neben ihm je ein Stasifunktionär. Und 15 Firmlinge, die dieses Trauerspiel über sich ergehen ließen.
Anfangs waren wir übrigens 60 Firmkandidaten. Sie waren alle, außer ich, Kinder der Deutschen Demokratischen Republik. Um ihren Glauben zu leben wurden sie hart angefasst. Die SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, besuchte jeden einzelnen zu Hause. Ihren Eltern wurde Folgendes gesagt: „Wir wissen, dass ihr Sohn/ihre Tochter gefirmt werden möchte. Sie wissen, das ist verboten. Aber wir sanktionieren es nicht. Sollte sich also Ihr Kind für die Firmung und Religionsausübung entscheiden, dann verlieren Sie ihre Arbeit oder werden herabgestuft. Ihr Kind wird keinen Ausbildungs- oder Universitätsplatz erhalten.“ Keine Sanktion? Von den 60 Firmlingen blieben 14 übrig. Sie sind meine Helden.
Mag. Katharina Nepf
09.06.1972 – 19.06.1972 Verwandtschaftsbesuch in der DDR
mit 4 Fotos pro Person für Einreisevisum 61/186 zur einmaligen Einreise in die DDR über den Grenzübergang Hirschberg.
Zwangsumtausch täglich pro Person ca. 25 Ostmark.
Unser Reiseziel: Lichtenwalde, ein kleiner Ort in Sachsen.
Die Aufenthaltsberechtigung gilt nur für den Bezirk Karl-Marx-Stadt, da kein Touristen- sondern ein Verwandtschaftsbesuch (daher auch die stete Frage an uns: Tourist oder privat?) –
Unsere Pässe glitten über eine Rutsche zum Zollbeamten. Dieser hatte schon unsere Fotos vor sich liegen und kontrollierte, ob wir auch die wären, die er am Foto sieht.
- Autokontrolle mit Spiegel unters Auto
- Das Zeitungspapier (eingepackte Schuhe) wurde abgenommen, da die Zeitung nicht erlaubt war!
- Kofferkontrolle bis ins letzte Kleidungsstück (Unterwäsche).
- Die Aufenthaltsdauer dadurch an der Grenze ca. 2 Stunden
- Anmeldung bei der Volkspolizei innerhalb 24 Stunden
Unsere Reiseerweiterung für Potsdam und Dresden musste bei der Volkspolizei (VOPO) beantragt werden. Auch das Datum für diesen Besuch musste fixiert werden. Wir meinten: wenn das Wetter schön ist, dann am 13. 6., wenn Regenwetter, dann halt später. So naiv dachten nur wir, aber nicht die VOPO. Unser lockeres Auftreten war sichtlich unerwünscht!
Bei allen unseren Ausflügen und sonstigen Aktivitäten war mein Cousin Gerd („zufällig“ ein VOPO) mit anwesend. Er hatte sich eine Woche „Urlaub“ für uns genommen und begleitete und aus Schritt und Tritt.
Allgemeine Stimmung im Land: alles geregelt, alles vorhanden, nur nicht dort wo man es braucht. z.B: Schlange-stehen vor dem Wollegeschäft, wenn es Wolle gab oder WC-Papier. Wolle gab es zufällig mitten im Sommer – Schlange vor dem Wollgeschäft.
Ausflug mit Straßenbahn: man zeigt beim Einsteigen den Fahrausweis den Mitreisenden. Die schon in der Straßenbahn Anwesenden beaufsichtigten den Fahrscheinautomaten, ob man auch wirklich einen Fahrschein löst!!!
Restaurantbesuch: Selber auf einen freien Tisch zuzugehen war unerwünscht, nur der Kellner war dafür zuständig. Einen zusätzlichen freien Stuhl vom Nachbartisch zu nehmen war auch nicht erwünscht. Der unfreundliche Kellner maßregelte uns. Dass wir daraufhin das Lokal verließen war ihm nur Recht, damit hatte er weniger Arbeit. Sein Lohn schmälerte sich dadurch nicht. Unsere Familie klärte uns auf: Egal, ob Gäste konsumieren oder nicht, er bekommt sein Gehalt…
Wir, als Ausländer, konnten im HO-Laden jederzeit einkaufen (Westgeld!) Daher wurden wir von unserer Familie auch gebeten B. Bohnenkaffee etc. einzukaufen.
Die Ausreise aus der DDR nach nochmaliger genauer Kontrolle erweckte in uns ein befreiendes Gefühl. Wir waren heilfroh, die DDR wieder verlassen zu können und in unser FREIES Österreich zurückzukehren.
Der plombierte Jean-Paul Sartre als Symbol einer unfreien Gesellschaft
Im Sommer wollten meine Gattin und ich von Schweden, wo wir damals lebten, nach Italien reisen. Um Zeit zu sparen, beschlossen wir über die DDR und CSSR nach Wien, und dann weiter nach Italien zu fahren. In Prag wollten meine Frau und ich zwei Nächste verbringen. Wir nahmen also die Fähre von Schweden nach Sassnitz, die Grenzkontrolle bei der Einreise in die DDR war problemlos. Wir verbrachten eine Nacht in Dresden und fuhren am nächsten Tag an die Grenze der CSSR. Doch an der Grenze wurden schwere Kontrollen durchgeführt. Das hatten wir nicht erwartet, reisten wir doch von einem kommunistischen Staat in einen anderen.
Bei mir hatte ich ein Buch von Jean Paul Sartre, ich wollte es während meines Urlaubes lesen. Es war in einer Ablage in unserem VW Käfer über dem Motorraum verstaut. Die Grenzkontrolle war streng und gründlich. Die Beamten durchsuchten das Auto akribisch, selbst mit Spiegeln unter dem Fahrzeug. Ein tschechischer Grenzbeamter entdeckte das Buch, er nahm es an sich und ging damit in die Wachstube. Nun muss man wissen, dass Bücher für mich damals sehr teuer waren, ich hatte viel Geld für diese Ausgabe bezahlt und wollte sie keinesfalls verlieren.
Also folgte ich dem Grenzbeamten in die Wachstube. Ich legte – auf Deutsch – Protest gegen die Beschlagnahmung ein und forderte mein Buch zurück. Doch niemand sprach Deutsch und keiner wollte mein Anliegen verstehen. Nach einiger Zeit betrat der Kommandant den Raum, er konnte Deutsch und erklärte mir, dass dieses Buch von Sartre nicht in die Tschechoslowokei eingeführt werden dürfe, da der Autor als „subversiv“ galt. Ich erkläre, dass wir nur auf der Durchreise waren und das Buch nicht im Land bleiben würde. Daraufhin schlug der Kommandant zunächst vor, in meinem Reisepass zu vermerken, dass ich ein entsprechendes Buch bei mir hätte – so könnte die Ausfuhr des Buches garantiert sein. Doch nein – als ich bemerkte, dass wir zwei Tage in Prag verbringen würden, wurde dieser Plan verworfen. In dieser Zeit, so der Kommandant, könnten wir das Buch ja kopieren und die Kopien in der Tschechoslowakei lassen. Ich war verzweifelt.
Doch dann kam mir der rettende Gedanke! Bei einem Blick aus dem Fenster konnte ich beobachten, wie Lastwagenkolonnen an der Grenze geöffnet, durchsucht und hernach mit einer Plombe wieder verschlossen wurden. Warum als, dachte ich mir, nicht auch mein ach so gefährliches Buch plombieren?
Ich eröffnete dem Kommandanten diesen Vorschlag. Dem Kommandanten war die Diskussion lästig, er wollte mich loswerden. Also willigte er ein. Das Buch wurde plombiert, sodass es nicht mehr gelesen oder kopiert werden konnte. Erst nach Ausreise aus der CSSR hätte ich die Plombe lösen dürfen. Tatsächlich wurde bei unserer Ausreise kontrolliert, ob das Buch noch plombiert ist.
Ich habe die Plombe nie entfernt. Bis heute ist dieses Buch geschlossen, als Erinnerung und Mahnung, wie eingeschränkt die Freiheit im Kommunismus war.